Politische Polarisierung, populistische Tendenzen und Angriffe auf rechtsstaatliche Prinzipien machen es notwendig, die Stabilität und Widerstandskraft demokratischer Strukturen zu stärken. Vor diesem Hintergrund veranstaltete die Abteilung Rechtswissenschaft des Instituts für Volkswirtschaftslehre und Recht (Universität Stuttgart) gemeinsam mit der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg am 10. Februar 2025 eine hochkarätig besetzte Tagung zum Thema "Verfassungsresilienz". Die Veranstaltung bot eine Plattform für den interdisziplinären Austausch zwischen Wissenschaft, Politik und Justiz zur Stärkung der demokratischen und verfassungsrechtlichen Strukturen in Deutschland.
Fachliche Diskussionen in drei Panels
Im ersten Panel diskutierten Prof. Frank Decker (Universität Bonn) und Prof. Mathias Hong (Hochschule Kehl) moderiert von Dr. Max Bauer (SWR/ARD-Rechtsredaktion) über die Frage, wann und unter welchen Umständen Parteienverbote ein geeignetes Instrument zur Verteidigung der Demokratie darstellen. Sie beleuchteten nicht nur die rechtlichen und politischen Grundlagen und historischen Beispiele für Parteienverbote, sondern auch deren Vor- und Nachteile. Während einige Argumente für ein konsequentes Vorgehen gegen extremistische Parteien sprachen, wurde auch betont, dass solche Verbote tief in die politische Willensbildung eingreifen und möglicherweise kontraproduktive Effekte haben können. Alternativen wie der Ausschluss von der staatlichen Parteienfinanzierung oder das Vertrauen in die Kraft des öffentlichen Diskurses wurden als weniger eingriffsintensive Maßnahmen diskutiert, die ebenfalls zur Stärkung der Demokratie beitragen könnten.
Das zweite Panel widmete sich dem Schutz des Bundesverfassungsgerichts und der Rolle starker Institutionen für eine widerstandsfähige Demokratie. Dr. Felix Petersen (Universität Münster) betonte in seinem Eingangsstatement, dass eine stabile Demokratie nicht nur starke Institutionen, sondern auch überzeugte und engagierte Demokraten braucht. Er verwies auf deliberative Beteiligungsformen wie Bürgerräte, die zur Stärkung demokratischer Prozesse beitragen können. Zudem wurde die Rolle der EU-Institutionen, insbesondere des EuGH, für die rechtsstaatliche Resilienz der Mitgliedstaaten hervorgehoben – mit Blick auf Entwicklungen in Polen und Ungarn. Prof. Karl-Peter Sommermann (Universität Speyer) thematisierte das Verfahren zur Wahl der Verfassungsrichterinnen und -richter und stellte die Problematik der Zusammensetzung des Gerichts dar, insbesondere in Bezug auf die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag. Die Diskussion setzte sich auch mit der aktuellen GG-Reform, die die Unabhängigkeit und Funktionsfähigkeit des Bundesverfassungsgerichts langfristig sichern soll, kritisch auseinander.
Im dritten Panel wurde die Rolle der Landesverfassungen beleuchtet. Durch Föderalismus kann Resilienz gesteigert oder geschwächt werden. Maximilian Steinbeis (Verfassungsblog) berichtete über die Erkenntnisse aus dem Thüringen-Projekt des Verfassungsblogs. Im Rahmen dieses Projekts untersuchte das Team des Blogs, welche rechtlichen Angriffsflächen einer illiberalen Mehrheit in Thüringen zur Verfügung stünden. Dies verdeutlichte die Herausforderungen, die auf Landesebene für die Demokratie bestehen können. Prof. Malte Graßhof, Präsident sowohl des Verwaltungsgerichtshofs als auch des Verfassungsgerichtshofs Baden-Württemberg, nahm die Perspektive des Praktikers ein und schilderte aus richterlicher Sicht die Rolle der Landesverfassungsgerichte. Er betonte deren Bedeutung als zusätzliche Schutzinstanz für demokratische und rechtsstaatliche Prinzipien auf Landesebene.
Hochkarätiges Abschlusspodium
Den feierlichen Abschluss bildete ein Podiumsgespräch, das sich an die Begrüßung durch die Direktorin der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, Sibylle Thelen, anschloss. Justizministerin Marion Gentges MdL, Bundesverfassungsrichterin Dr. Miriam Meßling und Prof. Alexander Thiele (BSP Berlin) diskutierten moderiert von Prof. Felix Heidenreich (Universität Stuttgart) über die Frage, wie resilient eine Verfassung überhaupt sein muss. Die Gesprächsrunde zeichnete zunächst den Status quo aus den Perspektiven von Bürgern, Wissenschaft, Exekutive und Judikative nach. Anschließend verlagerte sich die Debatte auf die Verantwortung der Politik und die zentrale Rolle einer vitalen politischen Kultur für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Es bestand Einigkeit, dass eine Verfassung nur so stark sein kann, wie die demokratische Praxis, die sie begleitet. Während rechtliche Schutzmechanismen entscheidend sind, müsse auch das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die demokratischen Prozesse gestärkt werden. Zufriedenheit mit politischen Entscheidungen könne maßgeblich dazu beitragen, gesellschaftliche Spaltungen zu verringern und Polarisierungstendenzen entgegenzuwirken. Die Diskussion machte deutlich, dass eine resiliente Verfassung sowohl rechtliche als auch gesellschaftliche Dimensionen haben muss, um ihre Schutzfunktion langfristig erfüllen zu können.
Die Tagung an der Universität Stuttgart unterstrich eindrucksvoll die Notwendigkeit, demokratische Strukturen kontinuierlich weiterzuentwickeln. Durch die Beteiligung hochkarätiger Fachleute konnten wichtige Impulse gesetzt und mögliche Handlungsansätze erörtert werden.