Bedingungsloses Grundeinkommen

Forschende des IVR untersuchten in Kooperation mit dem RWI Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung, wie auf gesamtwirtschaftlicher Ebene ein Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) finanziert werden kann. In einer umfassenden Studie wurden verschiedene Ausgestaltungsmöglichkeiten eines BGE auf ihre Finanzierbarkeit und Verteilungswirkungen hin untersucht.

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Forschungsprojekt zum Bedingungslosen Grundeinkommen

Über das Projekt

Das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) zählt zu einem der bekanntesten Reformvorschläge, die im Rahmen des öffentlichen Diskurses um das System der sozialen Sicherung in Deutschland immer wieder zur Sprache kommen. Es wird dabei oft als Lösung für verschiedene sozioökonomische Probleme diskutiert. In Folge des demografischen Wandels wird es zukünftig zunehmend schwieriger werden, die umlagefinanzierten Sozialversicherungen nachhaltig zu finanzieren und Altersarmut zu vermeiden. Bereits aktuell reichen die Beitragszahlungen der Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen nicht aus, um die Leistungen der Sozialversicherungen zu finanzieren, sodass vermehrt auf Steuermittel zurückgegriffen werden muss.

Im Rahmen eines Drittmittelprojekts gingen Forschende des IVR der Frage nach, wie auf gesamtwirtschaftlicher Ebene ein BGE finanziert werden kann. In Kooperation mit dem RWI Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung betrachteten die Forschenden verschiedene Ausgestaltungsmöglichkeiten eines BGE und evaluierten verschiedene Szenarien zu seiner Finanzierung.  

Folgende Rahmenbedingungungen waren bei der Studie gesetzt:

Es sollte ein Modell entwickelt werden, das darauf basiert, dass statt aller bisherigen Sozialleistungen, die nicht auf der Höhe des zuvor erzielten Einkommens basieren, wie Grundsicherung, Kindergeld, etc. nur noch ein BGE ausbezahlt wird. Dieses BGE wiederum sollte aus der Einkommensteuer aufgebracht werden, die damit auch die Sozialabgaben sowohl der Arbeitnehmer*innen als auch der Arbeitgeber*innen abdecken muss. Sonstige Steuern und Ausgaben des Staates sollten unverändert bleiben.

Zudem sollte diese Sozialstaatsreform so ausgestaltet sein, dass sich möglichst geringe Auswirkungen auf die Einkommensverteilung in Deutschland ergeben. Außerdem wurde angenommen, dass durch das BGE keine Verhaltensänderungen in der Bevölkerung auftreten, d.h. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verändern ihre Arbeitszeit infolge der Einführung des BGE nicht.

Wäre eine solche Ausgestaltung des BGE möglich, würde dies eine deutliche Vereinfachung des bisherigen Sozialstaats darstellen. In diesem Falle gäbe es neben dem BGE praktisch keine weiteren Sozialleistungen wie Bürgergeld, Wohngeld und Kinderzuschlag. Die mit diesen Sozialleistungen verbundenen aufwendigen Anträge und Einzelfallprüfungen könnten künftig entfallen.

Letztlich stellte sich jedoch heraus, dass eine Abschaffung aller Sozialleistungen inkl. der Sozialversicherungen verfassungsrechtlich nicht möglich ist. So kann beispielsweise die Gesetzliche Rentenversicherung nicht abgeschafft und die durch die Abschaffung frei werdenden Mittel für ein BGE eingesetzt werden, da in der Gesetzlichen Rentenversicherung individuelle Anwartschaften der Versicherten erworben werden. Dies steht etlichen Vorschlägen in der Literatur entgegen, die zur Finanzierung eines BGE das komplette Sozialbudget heranziehen wollen. Daher konnten im Rahmen dieser Studie nur begrenzte Einsparpotentiale aus den bisherigen Sozialleistungen identifiziert werden. Unter anderem wurden die Arbeitnehmer*innenbeiträge zur Gesetzlichen Arbeitslosenversicherung, das Kindergeld, die Grundsicherung für Arbeitssuchende (ALG2) sowie das Elterngeld zur Finanzierung eines BGE herangezogen. Die restlichen Sozialversicherungen mit ihren Beitragssystemen blieben gegenüber dem Status quo unverändert.

In der Studie wurden insgesamt 4 Ausgestaltungsformen eines BGE (Szenarien) in einer Basisvariante und einer Alternativvariante berechnet. (Siehe Tabelle 6.1 im Forschungsbericht.)

  • Die Basisvariante stellt im Wesentlichen einen in der Literatur häufig diskutierten Vorschlag dar. Erwachsene erhalten ein BGE von 1000 Euro pro Monat und Kinder in Höhe von 500 Euro. Die Szenarien 1a-4a unterscheiden sich in unterschiedlichen Einkommensteuertarifen, die benötigt werden, um auf staatlicher Ebene das BGE zu finanzieren.
  • Die Alternativvarianten betrachten jeweils ein BGE, welches vom Haushaltskontext (ein Mehrpersonenhaushalt erhält weniger BGE als die enstprechende Anzahl an Single-Haushalten) und vom Mietniveau des Wohnortes abhängt. Das BGE für einen Erwachsenen würde bei dieser Ausgestaltung 586-1222 Euro betragen, für Kinder 466-842 (abhängig von der Anzahl an Personen und des Wohnortes). Diese Szenarien 1b-4b verwenden dabei die gleichen Steuersätze wie die Szenarien 1a-4a.  

Wird bei der Höhe des BGE der Haushaltskontext nicht berücksichtigt, findet eine Umverteilung von kinderarmen Haushalten zu kinderreichen statt. Diese Umverteilungswirkungen können bei einer Berücksichtigung des Hauhaltskontextes deutlich reduziert werden. Die geringsten Auswirkungen treten im Szenario 3b auf, d.h. wenn sowohl der Haushaltskontext als auch das Mietniveau in die Höhe des BGE einfließen. Der zugehörige Einkommensteuersatz beträgt in diesem Szenario 70% für ein zu versteuerndes Einkommen bis 22.480 Euro und 48% für höhere Einkommen. Der Grundfreibetrag wurde wie in allen Szenarien abgeschafft.

Alle Szenarien zeigen, dass der Einkommensteuersatz stark steigen muss, um das BGE zu finanzieren.

IVR entwickelt interaktive Anwendung zum BGE

Neben der Frage der gesamtstaatlichen Finanzierung, die in der Studie im Vordergrund stand, stellen sich auch einzelfallbezogene Fragen: Welche Haushaltstypen profitieren von der Einführung eines BGE? Wie wirken sich Reformen der Einkommensteuer oder der Sozialversicherungen auf das verfügbare Haushaltseinkommen konkret aus?

Forschende des IVR haben hierzu eine interaktive Anwendung programmiert, die es ermöglicht, solche Fragestellungen genauer zu betrachten.

Die Anwendung basiert auf der kostenfreien Software "Wolfram Player", die über nebenstehenden Link herunter geladen werden kann. Zudem gibt es eine Kompaktversion, mit der die Auswirkungen einzelner Reformen analysiert werden können, sowie eine ausführliche Version, die zusätzlich noch einen Vergleich zweier Reform-Szenarios erlaubt.

Bevor Sie die Anwendung öffnen können, müssen Sie den Wolfram Player installieren.

Neben der Möglichkeit, die Auswirkungen eines BGE für bestimmte Haushaltstypen zu analysieren, umfasst die Anwendung auch weite Teile des bestehenden sozialen Sicherungssystems sowie des Einkommensteuersystems. Somit können kontrafaktische Reformen, wie etwa eine Erhöhung des Bürgergeldes, eine Erhöhung des Krankenkassenbeitragssatzes oder eine Abschaffung des Wohngeldes simuliert werden. Auch die Auswirkungen von Steuererhöhungen oder -senkungen können betrachtet werden.

Die Anwendung deckt dabei Arbeitnehmer*innen Haushalte ab, die in den gesetzlichen Sozialversicherungen versichert sind. Bisher nicht betrachtet werden können Personengruppen wie etwa verbeamtete Personen oder Rentner*innen und Rentner.

Die Anwendung dient zur Veranschaulichung von verschiedenen Rahmenbedingungen des sozialen Sicherungssystems in Deutschland. Aus den Berechnung kann kein Anspruch auf die dargestellten Transfers abgeleitet werden. Für die dargestellte Höhe der Leistungen übernimmt das IVR keine Gewähr.

Mithilfe der Anwendung können wichtige Einflussfaktoren, die eine Umverteilung induzieren, schnell erkannt werden: Wie wirkt sich die Anzahl der Kinder im Haushalt auf die Wirkung einer Reform aus? Welche Haushaltstypen werden eher belastet, welche profitieren?

Zum einen ist die Anwendung für Forschende im Bereich der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften interessant, die die Anwendung nutzen können, um beispielsweise Mikrosimulationsmodelle zu kalibrieren. Zum anderen ist sie auch für interessierte Bürgerinnen und Bürger geeignet, die damit verschiedene Reformszenarien auf ihren persönlichen Haushaltskontext anwenden können.

Dieses Bild zeigt Frank C.  Englmann

Frank C. Englmann

Prof. Dr.

Lehrstuhlinhaber bis zum WiSe 2023

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